Ein blauer Violen= Essig / auf andere Art.

Aus: Vollständiges Nürnbergisches Kochbuch (1691), Teil 07 Essige, Nr. 005

Originalrezept:

NEhmt schöne blaue Violen / zupfft von solchen die Blätlein herab / und schneidet das weisse von dem blauen unten auf das genäuste hinweg; alsdann hacket ein gut theil dieser abgeschnittenen blauen Violen auf einem saubern zinnernen Teller / damit deß gehackten ein paar Eß= Löffel voll bleibt / dieses thut nun gleich in ein Glas / und giesst ohngefehr ein Maas guten Wein= Essig daran / bindet es geschwind zu / und lasts etliche Stunden stehen; hernach schüttet diesen Essig zusamt den Violen in eine zinnerne Flaschen oder anderes Geschirr / da nichts schmaltziges jemals darein kommen / und woran man nicht scheu träget / wann selbiges einwendig den Glantz verliert / welches von dem Essig gar gern zu geschehen pfleget: wann man nun den Essig samt den Violen hinein geschüttet hat / so deckt und verbindet das Geschirr fleissig / und last also den Essig in dem zinnern Geschirr / ein paar Tag oder vier und zwantzig Stunden lang stehen / weil er von dem Zinn die annemliche Farb bekommt; alsdann seihet ihn wieder in ein Glas / und last ihn wohl verbunden an einem kühlen Ort stehen / so wird er schön dunckel= blau werden. Wann man nun davon zum speisen aufsetzen will / und er zu dunckel ist / darff man nur ein oder zwey Löffel voll davon in ein Schällein thun / und andern lautern Wein= Essig / nach belieben / daran giessen / so hell man ihn an der Farb verlangt. Aber oben in das Glas auf dem Essig pflegt man ein wenig Baum= Oel zu thun / so wird er allezeit schön und gut bleiben.

Anmerkung:

Anscheinend fand zwischen dem Zinngefäß und dem Essig eine chemische Reaktion statt, die die Blaufärbung verstärkte. Reines Zinn ist lebensmitteltechnisch unbedenklich, doch Zinngefäße wurden früher meist mit Blei legiert. Dieses Blei löst sich durch Säure heraus und bildet giftige Bleisalze. Dass Wein, Fruchtsäfte und natürlich Essig deshalb nur in bleifreien Zinngefäßen aufbewahrt werden sollten, noch besser in Glasflaschen oder glasierten Krügen, war eigentlich schon im Mittelalter bekannt; diese Gefahr wurde aber zu wenig beachtet bzw. unterschätzt.

Durch Reaktion von Bleioxid mit Essigsäure (!) entsteht übrigens Bleiacetat, mit Trivialnamen „Bleizucker“, der süßlich schmeckt und gut wasserlöslich ist. Trotz seiner Giftigkeit wurde Bleizucker bis ins 19. Jh. als billiger Zuckerersatz verwendet, vor allem für zu sauren Wein. Solcherart gepanschter Wein bewirkte chronische Vergiftungen; Beethoven könnte laut Haaranalyse ein prominentes Opfer dieser Praxis geworden sein.

Bleivergiftungen durch Wasserleitungen und Gefäße aus Blei (auch für Wein, Essig und saure Würzsaucen) trugen gemäß den Thesen mancher Historiker nicht unwesentlich zum Untergang des Römischen Reiches bei: in den Knochen und Zähnen der Römer wurden extrem hohe Konzentrationen an Blei festgestellt.

Überdies mischte man bis ins 19. Jh. auch Schminkprodukten und sogar Arzneien bedenkenlos Blei hinzu, was ebenfalls zu schleichenden Vergiftungen führte.

Kategorisierung:

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Transkription:

Andrea Sobieszek

Zitierempfehlung:
Andrea Sobieszek (Transkription): "Ein blauer Violen= Essig / auf andere Art.", in: Vollständiges Nürnbergisches Kochbuch (1691), Teil 07 Essige, Nr. 005,
online unter: https://www.historische-esskultur.at/rezeptforschung/?rdb_rezepte=ein-blauer-violen-essig-auf-andere-art (22.11.2024).

Datenbankeintrag erstellt von Andrea Sobieszek.


In folgendem Projekt erschlossen: TCS 37 (2017-2019)